Streetfotografie gehört für mich zu den wichtigsten fotografischen Genres, weil sie Kunst und Dokumentation verbindet und somit Beiträge zu unserem geschichtlichen und kulturellen Erbe beisteuert. Gute Streetfotografie zeigt das Leben auf der Straße, im Ganzen aber auch im Detail. Aber gerade diese Detailausschnitte sind sehr wichtig für die Streetfotografie, weil sie den Alltag am Beispiel einzelner Personen zeigen.
Leider hat sich in den letzten Jahren eine Entwicklung gezeigt, die die Streetfotografie sehr stark beeinträchtigt. Immer mehr Menschen wollen nicht fotografiert werden und reagieren zunehmend aggressiver auf Fotografen. Sie berufen sich dabei mehr und mehr auf Persönlichkeitsrechte, ohne genau zu wissen, wie die Rechtslage eigentlich aussieht. Auch ich als Fotograf sehe mich zunehmend verunsichert, da auch ich die Rechtlage nicht genau kenne. Aber unabhängig von der Rechtslage widerstrebt es mir natürlich, Personen gegen ihren Willen zu fotografieren.
Viele Fotografen umgehen dieses Problem, indem sie lange Brennweiten verwenden und damit aus größerer Entfernung fotografieren, so dass sie gar nicht erst bemerkt werden. Aber Personen heimlich zu fotografieren ist natürlich auch nicht die feine Art und bei einer Veröffentlichung der Bilder begibt man sich auf sehr dünnes Eis. Zudem leben Streetfotos von der Nähe zum Geschehen. Bilder aus der Entfernung sind nicht nur heimlich gemacht, sie wirken auf den Betrachter auch oft heimlich und unbeteiligt. Gute Streetfotografie ist aus der Entfernung kaum möglich!
Für mich ist Streetfotografie nicht eines meiner Hauptthemen. Nur gelegentlich juckt es mich in den Fingern und ich versuche mal wieder mein Glück. Meist ohne Erfolg, da ich aus oben genannten Gründen Skrupel habe, fremde Menschen zu fotografieren. Meine Streetfotos zeigen oft eine menschenleere Welt, was zumindest ihre geschichtliche Bedeutung zunichte macht.
Jeder gute Streetfotograf musste für sich einen Weg finden, mit diesem moralischen und auch juristischen Problem umzugehen. Das juristische Problem wird dabei tatsächlich oft ignoriert, frei nach dem Motto »wo kein Kläger ist...«, und gegen das moralische Problem hat man eine gewisse Skrupellosigkeit entwickelt, die einen vor all zu vielen Bedenken schützt.
Bleibt zuletzt die Frage, wie sich die Streetfotografie entwickeln wird.
Wünschenswert wäre zumindest eine eindeutige Rechtslage, wobei
ich allerdings befürchte, dass dem Fotografen noch weiter Rechte
entzogen werden. Die Streetfotografie könnte sich dann noch weiter
zu einer illegalen Randerscheinung entwickeln und letztendlich vielleicht
ganz verschwinden. Die Folgen für die Zukunft wären dann
aus meiner Sicht nicht unerheblich.
Bleibt zu hoffen, dass sich der anfangs erwähnte Trend, sich nicht
fotografieren zu lassen, nur eine kurzfristige Mode ist, aber so ganz glauben
mag ich das leider nicht.
Seit ein paar Tagen beschäftige ich mich mehr und mehr mit Leica Kameras.
Nur in der Theorie, denn leisten kann ich sie mir (noch) nicht. Dazu habe ich
mir eine ganze Menge Youtube Reviews angesehen, die fast alle in englisch
waren und dementsprechend auch im englichsprachigem Raum gedreht wurden. Viele
der Reviewer gingen dabei mit ihrer Leica auf die Straße und machten
Streetfotos. Offenbar eine klassische Domäne der Leica. Dabei ist mir
besonders aufgefallen, wie gelassen die Menschen reagiert haben, wenn sich
ein Fotograf in ein bis zwei Meter Abstand vor sie hinstellt und sie direkt
fotografiert. Kein böser Blick, kein böses Wort, ganz entspannt.
Ich denke, in Deutschland gäbe es das nicht. »Wenn du das Bild
nicht sofort löscht, gibt's ein's auf die Glocke« wäre eher
die Reaktion, die ich erwarten würde.
Im Grunde lassen mich diese Videos hoffen, dass sich der oben beschriebene
Trend nur auf Deutschland beschränkt - schlimm genug, aber vielleicht
hat die Streetfotografie doch noch eine Chance.
Wieder sind ein paar Jahre ins Land gezogen, in denen ich mich nur gelegentlich
mit Streetfotografie beschäftigt habe. Doch seit diesem Jahr (2019) befasse
ich mich doch mal etwas intensiver mit der Streetfotografie. Vielleicht haben
ein paar neue Bücher von Henri Cartier-Bresson und Elliott Erwitt den
Anstoß dazu gegeben. Diese Überlegungen haben aber auch ein Umdenken
bei mir bewirkt. Viele Regeln zur Streetfotografie, die ich mir und anderen
auferlegt hatte, habe ich inzwischen wieder verworfen. Menschen von hinten
zu fotografieren empfand ich bisher als feige und nicht tolerierbar. Inzwischen
sehe ich es als durchaus akzeptabel, wenn dadurch die Bildwirkung gesteigert oder
sogar erst möglich wird. Auch sehe ich nicht mehr die Notwendigkeit,
sehr nahe an die Personen heran zu gehen. Ein paar Meter Abstand und die Nutzung
eines leichten Teleobjektivs schadet der Bildwirkung weitaus weniger, als ich bisher
angenommen hatte. Und es ermöglicht einem, unbemerkt zu fotografieren.
Auch das hielt ich bisher für ein bisschen feige, denke aber inzwischen,
dass es beinahe notwendig ist, um überhaupt sinnvoll Streetfotografie zu betreiben.
Letztendlich sehe ich es inzwischen so, dass man sich bei der Streetfotografie
nicht so sehr durch Regeln einschränken sollte. Dennoch sollte man natürlich
nicht einfach so drauflos knipsen. Die Regeln der Bildgestaltung sind auch in der
Streetfotografie gültig. Ich selbst werde in Zukunft vielleicht wieder etwas
mehr auf die Straße gehen und fotografieren. Dabei werde ich meinen persönlichen
Schwerpunkt auf die Mimik und die Körpersprache der abgebildeten Personen legen.
Ich hoffe damit, der Banalität zu entfliehen. Nichts ist langweiliger als
banale Streetfotos.